Warum ein Studium nicht gratis sein sollte

Die Abschaffung von Studiengebühren ist seit Jahrzehnten eine sozialdemokratische Herzensangelegenheit. In den Ländern, in denen sie in Regierungsverantwortung kam, hat die SPD die Studiengebühren in dieser Zeit fast immer abgeschafft, oder wenigstens die Erhebung stark beschränkt. Schaut man sich an, wie die einzelnen Bundesländer das Thema heute handhaben, so muss man zu dem Schluss kommen, dass sich diese Politik durchgesetzt hat: Keines der 16 Bundesländer erhebt heute noch Gebühren für ein Erststudium, nur drei für ein Zweitstudium. Es scheint, dass nicht einmal mehr die Konservativen es so richtig wagen, sich diesem Trend zur Abschaffung entgegenzustellen. Zum Glück – denn während des Studiums auch noch ein paar hundert Euro Gebühren pro Semester berappen zu müssen, macht nicht nur das Studentenleben hart – es ist auch pures Gift für die Chancengleichheit. Kindern aus wohlhabenden Akademikerhaushalten können die Eltern diese Last abnehmen, während viele Arbeiterkindern die Gebühren nur mit Kellnern, Burger braten und Nachhilfe stemmen können – oder sich verschulden müssen.

Soweit so gut also mit der Abschaffung der Studiengebühren. All dies sollte aber nicht unseren Blick darauf verstellen, dass die Abschaffung der Studiengebühren eine neue Ungerechtigkeit erzeugt, denn das Verschenken eines Studiums bedeutet das Verschenken von Kapital.

Die Vorstellung, ein Studium bestehe einzig und allein aus dem Anhäufen von Wissen und der Entwicklung einer Persönlichkeit, geht an der Realität vorbei. Wie bereits Adam Smith in seinem Hauptwerk „Wohlstand der Nationen“ erkannte: Die Bildung eines Menschen ist Teil seines Kapitals, ein Investment, das getätigt wird, um Rendite abzuwerfen. In dieser Hinsicht ist ein Studium nichts anderes als eine Investition in Aktien oder Anleihen, oder auch in eine Maschine, mit der ein bestimmtes Produkt hergestellt werden kann. All diese Dinge kauft niemand, weil sie schön sind. Sie haben sich zu refinanzieren und am Ende einen Gewinn zu generieren. All das soll natürlich nicht heißen, dass es beim Studium nicht auch darauf ankäme, zu verstehen, zu durchdenken, zu kritisieren, einfach nur, ab und an mal ganz ohne Gedanken an das künftige Gehalt, zu lernen. All das ist ein Studium, und da besteht ein zentraler Unterschied zu einem Aktienportfolio, auch. Aber eben nicht nur. Dass diese Einschätzung der Realität entspricht, wird dadurch bestätigt, dass die drei beliebtesten Studiengänge Deutschlands – BWL, Jura und Medizin – allesamt zu Berufen führen, die mit hohem Einkommen verbunden sind.

Betrachtet man also die Abschaffung der Studiengebühren für einen Moment mit einem wirtschaftlich-nüchternen Blick, so muss man zu dem Schluss kommen, dass diese Maßnahme ein bisschen so ist, als würde der Staat dicke Aktienpakete einfach so an jeden verschenken, der die Hand hochhält. Eine mehr als merkwürdige Vorstellung. Und auch eine ungerechte, wenn man bedenkt, dass der Sohn eines Managers und die Tochter eines KfZ-Mechanikers dieses Aktienpaket, das aus den Steuern aller finanziert wird, beide völlig gratis bekämen.

Wie also lässt sich die mit Studiengebühren verbundene soziale Ungerechtigkeit vermeiden, ohne eine neue Ungerechtigkeit zu schaffen, die darin besteht, dass auf Staatskosten auch den Kindern Wohlhabender ein renditeträchtiges Investment umsonst überlassen wird? Die Antwort ist denkbar einfach: Man bittet die Unternehmensberater, Anwälte und Chefärzte in spe erst dann zur Kasse, wenn sie tatsächlich Unternehmensberater, Anwälte und Chefärzte geworden sind – also lange nach ihrem Studium. Warum nicht bis, sagen wir, 10 Jahre nach dem Masterabschluss oder dem Staatsexamen warten, bis ein Beitrag für das Studium erhoben wird?

Eine ähnliche Lösung hat die Australian Labour Party im Jahre 1989 gewählt, als sie in ihrem Land das Higher Education Contribution Scheme, kurz HECS, einführte. Wer in Australien studiert, tut das erstmal für lau. Nach dem Abschluss allerdings wird eine vom Einkommen abhängige, progressiv gestaffelte Abgabe für Hochschulabsolventen fällig. Wer unter ein Mindesteinkommen von 30.000 australischen Dollar (etwa 18.600 Euro) pro Jahr fällt, der zahlt erstmal nichts. Die Abgabe ist solange fällig, bis die vorher für das Studium festgesetzte Summe beglichen ist.

Dieses Konzept hat sicherlich Schwächen: Das Jahreseinkommen, das den Schwellenwert zur Zahlungspflicht bildet, ist zu niedrig angesetzt, zudem ist es auch möglich, die Gebühren bereits während des Studiums zu entrichten – ein unfairer Vorteil für die Kinder reicher Leute. In die richtige Richtung geht das Konzept aber alle mal. Warum also nicht ein HECS für Deutschland, nur mit einer Karenzzeit zwischen Studienabschluss und Beginn der Zahlungspflicht, sodass Zeit bleibt, eine Existenz zu gründen, und ohne die ungleichmachende Möglichkeit, schon während des Studiums zu zahlen? Man könnte auch darüber nachdenken, die dadurch gewonnenen Mittel nicht in den allgemeinen Staatshaushalt fließen zu lassen, sondern in ein Sondervermögen, das dann zur Finanzierung der Hochschulen beiträgt. Dann würden die gutverdienenden Akademiker von heute den blanken Studis von heute das Studium mitfinanzieren. Und die machen dann dasselbe für die Generationen nach ihnen. Eine Art umgekehrter Generationenvertrag.

Der SPD ist also zu raten, sich an ihrer Schwesterpartei aus Down Under ein Beispiel zu nehmen. Denn sonst muss sie ihrer Klientel vermitteln, wieso sie aus deren Steuergeldern den Kindern von Anwälten, Managern, Ärzten und Professoren das profitable Studium finanziert wird, warum sie, um es mit den Worten des Historikers Heinrich-August Winkler zu sagen, mit ihrer strikten Befürwortung des kostenfreien Studiums „bürgerliche Klassenprivilegien verteidigt“.

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